Samstag, 30. Oktober 2010

Das Kreuz mit dem Kreuz - Ein Entwurf

Posts, die ich nie fertig geschrieben und deshalb nicht veröffentlicht hatte, gibt es einige.  Hier ein Beispiel aus dem Vorfeld der Minarett-Abstimmung. Irgendwie erstaunlich, wie aktuell das wieder wurde:


Nicht nur Türmchen auf Gebetshäusern, die eigentlich gar niemand bauen will, bewegen die Gemüter. Gemäss einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verletzt das Anbringen von Kruzifixen in Schulzimmern von staatlichen Schulen das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder und stellt einen Verstoss gegen die Religionsfreiheit der Kinder dar. Soweit sind wir nun, lässt sich tausendfach in empörten Leserbriefen und Kommentaren lesen, dass wir die Kruzifixe abhängen müssen, und die Muslime sollen ungehindert Türmchen bauen dürfen? Ja, so weit sind wir, zum Glück. Selbstverständlich ist sowas ein Steilpass für den "bedeutendsten Intellektuellen der Schweiz":


Es ist paradox: Während in Europa Gerichte verfügen, dass in Schulen Kruzifixe abzuhängen seien, weil sie Andersgläubige provozieren oder diskriminieren könnten, sollen sich Muslime im Namen der Religionsfreiheit unbehelligt ausdehnen dürfen. Minarette sind keine Kirchtürme: Sie stehen nicht für einen Glauben, der ins Private zurückgedrängt wurde, sondern für ein politisches Herrschaftssystem, das an die Öffentlichkeit will.


R.K in der Weltwoche

Nun, die Behauptung, Kirchtürme seien keineswegs Herrschaftssymbole, wird nicht stichhaltiger, wenn sie einfach immer wieder wiederholt wird. Selbstverständlich stehen Kirchtürme für ein politisches Herrschaftssystem. Dies wird in einem älteren Artikel derselben Postille jedenfalls ausdrücklich betont:

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gingen christliche Bauherren wieder in die architektonische Offensive und erstellten Sakralbauten von symbolischem Wert. Kaiser Wilhelm II. besuchte im Jahre 1898 Jerusalem, um den Anspruch des Deutschen Reichs im Heiligen Land zu untermauern. Er liess im Süden der Stadt die burgartige katholische Dormitio-Kirche bauen und im Innern der Jerusalemer Altstadt die Erlöserkirche – und Architektur wurde erneut zum Abbild eines imperialistischen Machtstrebens.


Quelle: Weltwoche

Was hat das mit christlicher Symbolik in Schulzimmern zu tun? Der grosse Unterschied ist, dass der Besuch von Schulen vom Staat für alle Kinder vorgeschrieben ist. Wenn sich R.K. am Türmchen in Wangen stört, steht es ihm frei, das Dorf weiträumig zu umfahren - falls er sich je in diese Gegend verirren sollte. Diese Wahl haben Schüler nicht. Es sind Religionsgemeinschaften - nicht der Staat - welche Minarette errichten. Eine "Moscheebesuchspflicht" für alle Bürger steht nicht zur Debatte, und Kruzifixe in nicht-staatlichen Schulen sind vom Verbot nicht betroffen.
Das "Zurückdrängen" der Religion in den Bereich des Privaten ist nicht einfach so passiert, jahrzehntelange schwere politische Konflikte haben dazu geführt. Und "Zurück" ist irgendwie auch falsch, denn es ist keineswegs so, dass Religion irgendwann vor der Aufklärung als Privatangelegenheit betrachtet worden wäre. Der Widerstand der Kirchen gegen die Säkularisierung der Politik und vor allem der Schulen war episch.

Geschrieben hatte ich das im November 2009. Festzuhalten dazu gibt es eigentlich nur 2 Punkte:

- Obligatorische, staatliche Schulen sollen religiös und konfessionell neutral sein. Regligiöse Symbole, egal welcher Art und unabhängig davon, welche "Werte" die zugrunde liegende Religion zu vertreten behauptet, haben dort nichts verloren.

- Unsere Gesellschaft und vor allem unser Staatswesen beruht nicht auf einer wie auch immer gearteten "Christlich-Abendländischen" Leitkultur (interessanterweise ist diese in Deutschland oftmals auch noch "jüdisch", bei uns aber nicht). Die moderne kapitalistische Gesellschaft und der demokratische Rechtsstaat sind im Gegenteil aus Widerstand gegen  religiös geprägte, ständische Herschafts- und Gesellschaftsformen hervorgegangen.

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