Samstag, 30. Oktober 2010

Sex sells - weshalb politische Werbung wohl doch besser verboten werden sollte

Während Kollege W die Berechtigung politischer Werbung überhaupt in Frage stellt, vertrete ich eigentlich den Standpunkt, dass Werbung OK ist, solange die Finanzierung von Kampagnen transparent ist. Politik ist organisierte, regulierte Interessenvertretung. Insofern ist offener Lobbyismus auch kein Problem, solange ich als Bürger nachvollziehen kann, wer wessen Interessen vertritt. Doch leider ist das schweizerische System in diesem Bereich vollkommen unzulänglich. Weder die Finanzierung von Parteien, von Abstimmungskampagnen noch von Wahlpropaganda ist auch nur im entferntesten transparent. In lukrativen Politikbereichen, wie zum Beispiel der Gesundheitspolitik, sitzt kaum ein Parlamentarier in den entscheidenden Kommissionen, der nicht abhängig von Interessengruppen in diesem Bereich ist. Das funktioniert dann wohl etwa so, wie ich mir eine Sitzung des Exekutivkommittees der FIFA vorstelle - for the good of the game, oder so.

Doch ein Hauptargument, welches für ein totales Verbot politischer Werbung sprechen würde, kommt bei W nicht zur Sprache: Die Werbung selber. Wie Wahlwerbung im Rahmen von gratis Werbeminuten im öffentlich rechtlichen Fernsehen herauskommt, wurde an dieser Stelle bereits aufgezeigt. Ein weiteres Exempel:





Gefunden bei wahrscheinlich.

Das Kreuz mit dem Kreuz - Ein Entwurf

Posts, die ich nie fertig geschrieben und deshalb nicht veröffentlicht hatte, gibt es einige.  Hier ein Beispiel aus dem Vorfeld der Minarett-Abstimmung. Irgendwie erstaunlich, wie aktuell das wieder wurde:


Nicht nur Türmchen auf Gebetshäusern, die eigentlich gar niemand bauen will, bewegen die Gemüter. Gemäss einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verletzt das Anbringen von Kruzifixen in Schulzimmern von staatlichen Schulen das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder und stellt einen Verstoss gegen die Religionsfreiheit der Kinder dar. Soweit sind wir nun, lässt sich tausendfach in empörten Leserbriefen und Kommentaren lesen, dass wir die Kruzifixe abhängen müssen, und die Muslime sollen ungehindert Türmchen bauen dürfen? Ja, so weit sind wir, zum Glück. Selbstverständlich ist sowas ein Steilpass für den "bedeutendsten Intellektuellen der Schweiz":


Es ist paradox: Während in Europa Gerichte verfügen, dass in Schulen Kruzifixe abzuhängen seien, weil sie Andersgläubige provozieren oder diskriminieren könnten, sollen sich Muslime im Namen der Religionsfreiheit unbehelligt ausdehnen dürfen. Minarette sind keine Kirchtürme: Sie stehen nicht für einen Glauben, der ins Private zurückgedrängt wurde, sondern für ein politisches Herrschaftssystem, das an die Öffentlichkeit will.


R.K in der Weltwoche

Nun, die Behauptung, Kirchtürme seien keineswegs Herrschaftssymbole, wird nicht stichhaltiger, wenn sie einfach immer wieder wiederholt wird. Selbstverständlich stehen Kirchtürme für ein politisches Herrschaftssystem. Dies wird in einem älteren Artikel derselben Postille jedenfalls ausdrücklich betont:

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gingen christliche Bauherren wieder in die architektonische Offensive und erstellten Sakralbauten von symbolischem Wert. Kaiser Wilhelm II. besuchte im Jahre 1898 Jerusalem, um den Anspruch des Deutschen Reichs im Heiligen Land zu untermauern. Er liess im Süden der Stadt die burgartige katholische Dormitio-Kirche bauen und im Innern der Jerusalemer Altstadt die Erlöserkirche – und Architektur wurde erneut zum Abbild eines imperialistischen Machtstrebens.


Quelle: Weltwoche

Was hat das mit christlicher Symbolik in Schulzimmern zu tun? Der grosse Unterschied ist, dass der Besuch von Schulen vom Staat für alle Kinder vorgeschrieben ist. Wenn sich R.K. am Türmchen in Wangen stört, steht es ihm frei, das Dorf weiträumig zu umfahren - falls er sich je in diese Gegend verirren sollte. Diese Wahl haben Schüler nicht. Es sind Religionsgemeinschaften - nicht der Staat - welche Minarette errichten. Eine "Moscheebesuchspflicht" für alle Bürger steht nicht zur Debatte, und Kruzifixe in nicht-staatlichen Schulen sind vom Verbot nicht betroffen.
Das "Zurückdrängen" der Religion in den Bereich des Privaten ist nicht einfach so passiert, jahrzehntelange schwere politische Konflikte haben dazu geführt. Und "Zurück" ist irgendwie auch falsch, denn es ist keineswegs so, dass Religion irgendwann vor der Aufklärung als Privatangelegenheit betrachtet worden wäre. Der Widerstand der Kirchen gegen die Säkularisierung der Politik und vor allem der Schulen war episch.

Geschrieben hatte ich das im November 2009. Festzuhalten dazu gibt es eigentlich nur 2 Punkte:

- Obligatorische, staatliche Schulen sollen religiös und konfessionell neutral sein. Regligiöse Symbole, egal welcher Art und unabhängig davon, welche "Werte" die zugrunde liegende Religion zu vertreten behauptet, haben dort nichts verloren.

- Unsere Gesellschaft und vor allem unser Staatswesen beruht nicht auf einer wie auch immer gearteten "Christlich-Abendländischen" Leitkultur (interessanterweise ist diese in Deutschland oftmals auch noch "jüdisch", bei uns aber nicht). Die moderne kapitalistische Gesellschaft und der demokratische Rechtsstaat sind im Gegenteil aus Widerstand gegen  religiös geprägte, ständische Herschafts- und Gesellschaftsformen hervorgegangen.

Dienstag, 19. Oktober 2010

Die Vokssouveränität - von den Schwierigkeiten eines Begriffs

In verschiedenen Zusammenhängen wird im öffentlichen politischen Diskurs Bezug genommen auf die "Volkssouveränität". Hinterfragt wird der Ausdruck allerdings nicht sehr oft.

Zunächst könnte man sich über die Bestandteile des Ausdrucks "Volkssouveränität" einige Gedanken machen. "Souveränität", was meint das eigentlich? Das Konzept der "Souveränität" geht im Kern zurück auf absolutistische Staatsphilosophen, oft genannt wird der Franzose Jean Bodin. Souveränität versteht er grundsätzlich als Existenz einer "höchsten Letztentscheidungsbefugnis" im Staat. Der Souverän ist demzufolge der Träger dieser Befugnis, die Verfassungsgebende Instanz. Selbstverständlich ist dabei die Entscheidung über Krieg oder Frieden mit inbegriffen. Da diese für ein Staatswesen (auch ein Begriff, der einmal einige Gedanken Wert wäre) oftmals eine Existenzfrage darstellt, wurde der Begriff auch im "Völkerrecht" immer wichtiger. Dort hat der Begriff eine zusätzliche Bedeutung angenommen: Souverän ist ein Staat, wenn er von anderen Staaten unabhängig ist, eigene Entscheidungen fällen und diese sowohl gegen innen wie auch gegen aussen durchsetzen kann. Und damit wird's eben auch kompliziert. Ist die Schweiz "souverän"? Im rechtlichen Sinne durchaus. Kein anderer Staat spricht der Schweiz das Recht, für sich selber zu entscheiden, grundsätzlich ab. Eine Situation, die in zahlreichen anderen Ländern nicht ganz so klar ist, man denke zum Beispiel an Afghanistan, den Irak, Kosovo, Bosnien.... Die Kehrseite davon ist jedoch, dass diese Entscheidungen direkte Auswirkungen auf das Verhältnis zu anderen Staaten haben. Die Schweiz kann Staatsverträge mit Deutschland zum Beispiel - ganz souverän - annehmen oder ablehne, kündigen oder verlängern. Je nachdem kann Deutschland dann nämlich - ebenfalls ganz souverän - Überflüge über sein Gebiet einschränken, was sowohl für Airlines, Fluglinien, die Bevölkerung rund um den Flughafen Auswirkungen hat. Und wenn man Deutschland das verbieten will, muss man halt eben den Krieg erklären (vgl. dazu: Wofür wir die beste Armee der Welt wirklich brauchen: hier).


Zudem bestehen einige Grundsätze, zu denen sich praktisch alle Staaten dieser Welt bekannt haben, man spricht von "zwingendem Völkerrecht". Darunter sind Rechtsgrundsätze zu verstehen, die universelle Gültigkeit haben. Sie können nicht wegbedungen werden und gelten auch, wenn sie nicht kodifiziert wurden. In der Schweiz hat dies eine lange Rechtstradition, waren doch elementare Grundrechte in der Verfassung vor der letzten Totalrevision nicht oder nur teilweise enthalten. Das Folterverbot zum Beispiel würde auch gelten, wenn man den entsprechenden Artikel aus der Verfassung streichen würde. Es würde auch gelten, wenn man in die Verfassung schreiben würde, dass Folter erlaubt sei oder obligatorisch bei der Untersuchung bestimmter Delikte (Sexualdelikte, am besten begangen an Kindern, IV-Betrug oder ähnlichem). Selbst ein Austritt aus der EMRK hätte auf die Gültigkeit des Folterverbots keine Auswirkungen. Die Souveränität eines jeden Staates gilt also nicht absolut, zumindest nicht im rechtlichen Sinne. Die politischen Folgen solcher Entscheide wären wohl zu vergleichen mit der Situation von Nordkorea, kein erstrebenswertes Ziel, auch wenn das Land und die Leute durchaus ihre Reize zu haben scheinen, denn "dieses Land will unabhängig sein" (GröBaZ, Interview in der BAZ)

Was ist denn nun mit dem "Volk"? Im Gegensatz zu Jean Bodin, der als Träger der Souveränität eine einzige Person, nämlich den König, der selber ausserhalb jeden Rechts steht (Der Leviathan lässt grüssen, obwohl der von einem Engländer ins Spiel gebracht wurde). Einen solchen hatten und haben wir in der Schweiz nicht, und ausser einigen Anhängern des "besten Bundesrates aller Zeiten" wünscht sich den auch niemand. Die Souveränität wird in der Schweiz durch das "Volk" ausgeübt. Doch wer ist das "Volk"? Die Bevölkerung kann damit nicht gemeint sein, denn Kinder, Touristen und Ausländer gehören nicht dazu, egal ob sie hier wohnen oder nicht. Frauen gehören erst seit einige Jahrzehnten zum Volk, in Innerrhoden erst seit 1990. Gemeint sind die schweizerischen Staatsbürger. Doch gehören diejenigen, die nicht wählen oder abstimmen gehen, auch dazu, zum Volk? Die Kriterien zur Erlangung der Staatsbürgerschaft und somit zur "Volkszugehörigkeit" sind zudem heftig umstritten, was die "Volksseele" regelmässig zum Kochen bringt. (Hier kocht die Volksseele, ab 05:58, gekocht gibt es sie ab 42:50. Quelle: SF DRS)

Doch trotz all der Schwierigkeiten scheinen zwei Ansichten weit verbreitet zu sein:

- Die "Volkssouveränität" gelte absolut. Das Volk sei absolut frei in seinen Entscheidungen, jede Einschränkung sei ein Verrat an eben der "Volkssouveränität" und ein Beispiel an linker Subversion. Auch wenn entsprechende Vorschläge sich auf genau diese Volksrechte beziehen und von stramm bürgerlich-konservativer Seite geäussert werden.

- Daraus folgt meist die Erkenntnis, dass Demokratie in dem Sinne absolut gilt, dass sie ausserhalb des Rechts und des Rechtsstaates steht, wie der König in Frankreich, der Papst in der katholischen Kirche oder Sepp Blatter in der Fifa. Wer in der humanistischen Tradition der Aufklärung genau die Werte zu schützen versucht, welche oft absurderweise als Produkt unserer "christlich-abendländischer" Kultur bezeichnet werden und die es gegen islamische, balkanesische, afrikanische oder sonstige Einflüsse aus "fremden Kulturkeisen" zu schützen gelte, zur Not auch mittels massiver Grundrechtseinschränkungen, rechtlicher Willkür oder unter Verletzung eben dieser Werte, wird massiv angefeindet.

Einige Beispiele:

giovanni meijer, rive Gauche - 20:36 | 09.10.2010
» Nur weiter so Giusep. Sie werden, mit Ihrem Unsinn, das Volk daran erinern, abstimmen zu gehen. Und was wird das Volk abstimmen, waseli was (frei nach Ruedi Walter)? Nein, nicht solche Abstimmungen sind eine Gefahr für die Schweiz; Sie sind die Gefahr sowie die intellektuelle Elite dieses Landes.

Hanspeter Rüegg, Zürich - 20:26 | 09.10.2010
» Herr Nay ist eine Schande für unser Land. Und so ein Mann, der demokratische Volksentscheide missachtet, war einmal Bundesrichter. Da wundere ich mich überhaupt nicht mehr über die gegen das Volk gerichteten Entscheide dieser Instanz. Ich habe jeglichen Respekt vor der Rechtssprechung in der Schweiz verloren.

Ruedi Wermuth, Reinach - 18:50 | 09.10.2010
» Dieser Herr Nay ist genau einer der linken die immer wieder in allem Recht haben wollen und genau diese Vögel machen die Demokratie in der Schweiz zur Sau. Sie Herr Nay gehören mit ihrer dappischen Ansicht nicht in die Schweiz, packen sie ihre Koffer und dann Tschüss.

Ruedi Greub, Rohrbach - 17:45 | 09.10.2010
» Das Volk stimmt ab. Das Resultat sollten alle Akzeptieren Und ein Volksentscheid muss auch nicht begründet werden. Sollte ein Volksentscheid mit einem internationalen Vertrag nicht vereinbar sein, so muss der internationale Vertrag gekündigt werden. Das wäre Demokratie und nichts anderes. Leider denkt da unsere politische â01CEliteâ01C aus dem hohen Elfenbeinturm anders.

Pesche Lang, Bern - 17:01 | 09.10.2010
» Richter sollen mitbestimmen, welche Initiativen europa-gerecht sind und welche nicht!? Dann gnade uns Gott, dann ist unsere direkte Demokratie am Ende. Übrigens: Es gibt gar keine völkerrechtswidrigen Initiativen. Und in unserem Land ist immer noch das Volk der Souverän, Herr Nay!

Hans Berner, Bern - 14:07 | 09.10.2010
» Diesen Richter und seine politische Gesinnung kennen wir aus seinen X Auftritten bestens. Es ist eine Schande, wie sich die selbst ernannten Halbgötter zu Lausanne aufspielen und den politischen Willen eines souveränen Staates untergraben. Wir sind das Volk, ihr seid unsere Diener, auch wenn ihr als Richter gewählt wurdet. Ende!

(Sämtliche Zitate stammen von Blick Online. Schreiben lassen, was ist, am liebsten gratis von den Lesern.)

Mit den Errungenschaften der "christlich-abendländichen" Kultur scheint es eben doch nicht so weit zu sein.