Dienstag, 28. Juni 2011

Kriminelle? Ausländer? Asylanten?

Man sollte das ja eigentlich nicht tun, dem geschenkten Gaul ins Maul beziehungsweise dem Gratisprintjournalisten ins Endprodukt schauen. Was man noch weniger tun sollte: sich darüber aufregen. Aber es lässt sich eben einfach nicht immer vermeiden. Die aktuelle Gratis-Abendausgabe des Blatts mit den grossen Buchstaben und den bunten Bildern hat einen Höhepunkt in ausgewogenem Politjournalismus veröffentlicht.

Nun, man könnte einwenden, dass was gratis ist, ja eh nichts taugt und auch nichts taugen muss. Doch Ringier ist stolz auf seinen "Newsroom". Der Trick dabei: Jedes Ressort und jeder Journalist arbeitet an seinen Themen, unabhängig davon, über welchen Kanal das Resultat dann publiziert wird. Der Spezialist für Cellulite, zum Beispiel, der kann dann neben der klassischen Fotostrecken auch gleich noch einen guten Teil der Kulturberichterstattung abdecken.

Das bedeutet, der Journalist, der unter der Schlagzeile im verlinkten Artikel die Zeile "SVP sauer: Noch keine Lösung für kriminelle Asylanten in Sicht" plaziert hat, wäre eigentlich ein Journi aus dem Ressort "Politik". Doch ein solcher, sollte man meinen, müsste sich doch in den letzten Monaten folgende Gedanken gemacht haben:

- Wer soll - geht es nach der SVP - ausgeschafft werden? Was ist der Unterschied zwischen "Ausländer" und "Asylbewerber"? Ob er sich dann den Hinweis auf Wikipedia, dass der Ausdruck "Asylant" von einigen Leuten abgelehnt werde, da diese ihn für abwertend hielten, sich zu Herzen nimmt oder nicht, wäre wohl zu viel verlangt an Sprachbewusstsein.

- Sind die Leute, welche ausgewiesen werden sollen, kriminell? Die Diskussion dreht sich ja auch nicht zuletzt um den noch zu schaffenden Strafrechtstatbestand des "Sozialhilfemissbrauchs", man muss also zuerst noch das Gesetz anpassen, damit diese Leute, die ohne Gesetzesänderung ja nicht mal wirklich kriminell sind, ausgeschafft werden können.

Den Rest, den erwarte ich wirklich nicht von einem schlecht bezahlten Auftragsschreiberling, der, egal ob es Sinn macht oder nicht, einfach jeden Tag seine Textlein über irgendwas veröffentlicht, wovon er eigentlich keine Ahnung hat und wovon er auch keine Ahnung haben will. Doch was ist das Resultat einer solchen Titelzeile?

- Die Diskussion (besser: der absichtlich produzierte Streit) wird in einen Zusammenhang mit der in letzter Zeit wieder geschürten Panikstimmung im Asylwesen gestellt, obwohl beide Themen höchstens am Rand miteinander zu tun haben.

- Die meisten Ausländer in der Schweiz sind seit Jahren hier, sogar hier geboren. Ein weiterer grosser Teil wandert regulär in die Schweiz ein, im Rahmen der Personenfreizügigkeit oder von anderen Regeln mit Drittstaaten. Asylsuchende stellen einen Bruchteil der jährlichen Einwanderer und der ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz dar. Ausländer, die hier Steuern zahlen, arbeiten, zum wirtschaftlichen Wohlstand massiv beitragen, werden implizit gleichgestellt mit "dem kriminellen Asylanten", dem schwarzen Kügelidealer, der in der teuren Lederjacke in der Bahnhofsunterführung darauf wartet, unsere unschuldigen Kinder zu vergewaltigen.

Seriös ist das nicht. Im besten Falle dumm und schlampig, im schlechtesten Absicht.

Jeder Medienschaffende sollte:

- keine Informationen veröffentlichen, ohne im Vorfeld
die Auswirkung ihrer/seiner Beiträge, Artikel und Bilder
auf die Öffentlichkeit und auf die von der Publikation
betroffenen Personen in Betracht gezogen zu haben.

- alle notwendigen Fakten oder Elemente eines Beitrags,
die für die Information der Öffentlichkeit wichtig sind,
veröffentlichen und darlegen.

Und insbesondere sollten die Journis alle:

-die Öffentlichkeit mit genauer und objektiver Information
beliefern.

Quelle: Code of Conduct der Ringier AG.