Dienstag, 7. April 2009

Kampf der Kulturen, Teil II

Neben dem wöchentlichen Kampf um Hausordnung und Waschküche gibt es selbstverständlich weit bedeutendere Probleme auf dieser Welt. Eines davon ist es, einen vernünftigen Umgang mit Informationen oder gar Wissen in der digitalen Welt zu finden. Einen Weg dazu - sogar einen sehr erfolgreichen - stellt Wikipedia dar. Genau wie in politischen Systemen erzeugt auch eine online-Enzyklopädie durch breitere Partizipation weder effizientere noch qualitativ bessere Resultate. Während im Fall der politischen Systeme die Einbindung möglichst vieler, wenn nicht gar aller von einem Entscheid betroffenen Legitimität zum Ziel hat (und nicht Effizienz, auch wenn es Leute gibt, die das immer noch nicht verstanden haben), spielt diese bei einem Nachschlagewerk nachgeordnete Bedeutung. Nur, weil viele Leute etwas für richtig. oder - bewahre - für "wahr" halten, heisst das noch lange nicht, das es relevant oder nützlich ist. Ob nun eine Kantonsschule wirklich in Wikipedia mit einem Eintrag vorübergehend ver"ewigt" wird, ist wohl eher eine Frage von PR und Marketing als des Weltwissens.

Nichtsdestotrotz hat es Philippe W.* sich nicht nehmen lassen, eine Artikel über die Kantonsschule Wettingen zu verfassen. Nach 13 Stunden hat der erste engagierte Enzyklopädist den Antrag gestellt, den Artikel wieder zu löschen. Unweigerlich führt dies unter Wikipedianern zu erbitterten Diskussionen zwischen Trollen und Nerds, auf jeden Fall zwischen Leuten, die Stolz darauf sind, Fremdwörter zu benutzen, von denen Sie wahrscheinlich im Leben keines verstehen würden, wenn sie noch ein Sozialleben hätten. Die Diskussionsseite zum Wiki-Eintrag über Nerds illustriert übrigens das Treiben von Trollen sehr anschaulich.

*Name dem Autor und wohl der Mehrheit der Leserschaft bekannt.

Freitag, 3. April 2009

Kampf der Kulturen


Bünzli? Locker drauf? Flexibel? Unordentlich? Pedantisch? Es gibt keinen Ort auf der Welt, der unterschiedliche Mentalitäten dermassen aufeinander prallen lässt, wie die Waschküche eines schweizerischen Mietshauses. Wie immer, wenn um die Verteilung von knappen Gütern gerungen wird, werden gewisse Konflikte auch externalisiert. Im Bestreben, die eigene Position durchzusetzen, wird nicht vor Versuchen zurückgeschreckt, unbeteiligte Drittpersonen zu involvieren, wie obiges Besipiel deutlich zeigt.

Man stelle sich vor, die geschätzten CHF 2.80 müssten unter nicht weniger als 10 Parteien aufgeteilt werden. Ich, so als völlig zufällig gewähltes Beispiel, habe bis vor kurzem gar nicht gewusst, dass in unserer Waschkücke Tipp-Ex zur Korrektur allfälliger Fehleinträge in der Waschliste zur Verfügung steht, ich habe einfach zur - zugegeben - brachialen Methode des Durchstreichens gegriffen. Da wäre es natürlich absolut unangebracht, wenn ich im gleichen Masse zum Ersatz des Korrekturbandes beitragen müsste wie die Hauptnutzer, welche zudem mit dem kostbaren Material in verschwenderischer Weise umgehen (siehe Abbildung !).

Was liegt da näher, als das ganze Problem einfach der zuständigen Verwaltung zu überlassen. Doch die Vehemenz, mit der dieser dreiste Versuch gekontert wird, lässt aufhorchen. Künftig wird die Mieterschaft kuschen. Aberschosicher!

Donnerstag, 2. April 2009

500 Jahre Missverständnisse

Was macht man an einem gewöhnlichen Donnerstag, wenn es nichts gibt, worüber man sich aufregen kann, Aufregung aber irgendwie nötig wäre? Kein Problem, man geht zum Kiosk und kauft sich eine Weltwoche. Genau das habe ich letzte Woche gemacht, es hat prächtig funktioniert. Schon der erste Arikel nach Roger K.'s üblichem Gebrabel im Editorial liefert Stoff für eine Entgegnung, die mehr als einen Eintrag an dieser Stelle Wert wäre.

Markus Somm veröffentlicht auf S. 11 einen Kommentar zum Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz. Da der Artikel online nicht zugänglich ist (ausser für Abonnenten, aber da outet sich ja wohl eh keiner), erlaube ich es mir, einen Ausschnitt zu zitieren:

"Schliesslich - und das ist der legitime Kern der Abwehr - steht Steinbrück für eine Tradition, die die Schweizer seit je verabscheuten. Fast wie eine Karikatur verkörpert er den autoritären Steuerstaat, der den Bürger plagt. Gegen die Obrigkeit, gegen den Adel und die Fürsten, die ungefragt Steuern erheben wollten, schlossen sich die Schweizer einst zusammen. Im Schwabenkrieg (1499) trennte sich die Eidgenossenschaft faktisch aus dem Deutschen Reich, nicht aus kulturellen Gründen, sondern aus politischen. Die Schweizer standen für die Freiheit, ihre Steuern selber festzusetzen und abzuliefern. Im Süddeutschen Raum lautete der Schlachtruf der Bauern, die sich gegen ihre Fürsten wandten: "Wir wollen Schweizer werden!" (...)"

Ein halber Abschnitt, jeder Satz zeugt vom intellektuellen Dilettantismus des Autors.

In welcher Tradition steht Herr Steinbrück denn? "Deutschland", in dem Sinne, in dem wir es heute kennen, besteht eigentlich seit 1990. Das Grundgesetz, das den Staat "Bundesrepublik Deutschland" begründet, besteht seit 1949. Mit dem Schwabenkrieg, dem Deutschen Reich oder der Entstehung der alten Eidgenossenschaft hat das nicht wirklich etwas zu tun. Mit viel gutem Willen könnte man im Sinne einer Verwaltungstradition das zweite Deutsche Reich als staatliches Vorgängerkonstrukt der BRD bezeichnen, aber auch das bestand erst nach 1871.

Der Schwabenkrieg war im Kern auf Konflikte zwischen dem Haus Habsburg und den Eidgenossen zurückzuführen. Maximilian I., ein Habsburger, war als König des "Römisch-Deutschen Reiches" vor allem um den Ausbau seiner Ländereien bemüht, um Steuern gings da schon mal gar nicht. Die Eidgenössischen Stände genossen innerhalb des Reiches vor und nach dem Konflikt grosse Eigenständigkeit -wie viele andere Gebiete auch -, waren aber bis 1648 ein Teil des Reiches.

Haben sich die Schweizer - gegen wen auch immer - denn zusammengeschlossen, um selber ihre Steuern und Abgaben festzulegen? Der Zusammenschluss der Gebiete, die heute die Schweiz bilden war ein Prozess über Jahrhunderte. Dies auf eine einzige Ursache zu reduzieren, scheint gewagt. Vor allem inakzeptabel ist ein implizit ewigwährendes Staatsbild von Bürgern, die in Steuerfragen - und selbstverständlich in allen anderen Fragen auch - in voller Vernunft sich frei an allen Entscheidungen beteiligen können. In der alten Eidgenossenschaft waren die meisten Einwohner an politischen Entscheidungen überhaupt nicht beteiligt. Selbst in den Landsgemeindeorten waren nur Bürger der Stammlande, die über ein gewisses Vermögen verfügten, Stimmberechtigt, von den Untertanengebieten, über die auch diese Orte verfügten, ganz zu schweigen. Die "alten Orte" pflegten mit der Zeit - ganz im europäischen Trend - ein absolutistisches Staatsverständnis. Im Unterschied zu den Monarchien war die herrschende Elite einfach etwas zahlreicher, der Souverän nicht auf eine einzige Person beschränkt. Demokratisch im heutigen Sinne war das nicht, und die Bauern oder wen auch immer zu fragen, ob die Steuerbelastung so in Ordnung sei, hätte damals im besten Fall zu Gelächter geführt. Weshalb hätten denn die ach so freien, demokratischen und unabhängigen Bauern Kriege gegen ihre Obrigkeit führen sollen?

Das nur einige Punkte zu den 3 Sätzen von Somm, es gäbe noch einiges aufzuführen. Doch eigentlich geht es doch nur um eines: Man sollte tagesaktuelle politische Diskurse nicht aus der Geschichte heraus führen - schon gar aus dem heraus, was man in seiner ideologischen Verblendung eben für Geschichte hält.

Die Spannungen mit Deutschland haben weder mit Adel, mit Obrigkeit oder mit jahrhundertelanger Geschichte zu tun, sondern mit politischen Differenzen hier und heute. Die Aufregungen darüber basieren jedoch vor allem auf den Mythen über unser Land und über andere, welche in vielen Köpfen leider immer noch als Tatsachen verankert sind.