Dienstag, 25. Mai 2010

Früher war alles besser - was Cédric Wermuth noch lernen sollte

Eine der legendärsten Sendungen des Schweizer Fernsehens wurde - auf meine Anfrage hin - im Online-Archiv von SF veröffentlicht. Das verstehe ich unter Service Public, den zuständigen Mitarbeitern des Archivs sei an dieser Stelle dafür gedankt.

Bemerkenswert ist eigentlich beinahe alles an dieser Sendung, doch einige Punkte verdienen doch eine besondere Erwähnung:

  • Das Logo und der Trailer der Sendung sind weltklasse, Früher pulsierte die Schweiz noch, auch ohne Street-Parade (obwohl die Gasmasken schon da waren)
  • Gilbert Gress hat seinen Stil nicht selber erfunden, das war Jan Kriesemer
  • Das Tessin kam damals schon immer zu kurz
  • Der Teleprompter war zwar schon erfunden, hat es aber noch nicht bis ins Leutschenbach geschafft
  • Töffli waren noch keine raren Sammlerstücke (1:55)
  • Google könnte von der Anonymisierungstechnick noch was lernen (3:48) und die Stadtpolizei hatte noch richtige Vorbilder (Funkgespräch im Hintergrund, selbe Stelle)
  • Gegen Wasserwerfer hilft es, sich im Taxi fortzubewegen (5:43)
  • Touristen waren damals schon wichtiger als Bürger oder Einwohner, der Umsatz als die Politik (6:33)
  • Ein Amt war noch ein Amt
  • Politiker konnten schon damals geschriebene, hochdeutsche Sätze nicht in Mundart ausformulieren (11:05), Journalisten waren schon damals Böse und der Polizei im Weg. Das Argument, die Presse würde durch ihre Berichterstattung das Recht der freien Berufsausübung der Polizisten einschränken, ist bemerkenswert originell und dem diesbezüglichen Diskurs in letzter Zeit leider abhanden gekommen.


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    Video: Schweizer Fernsehen

    Und heute? Nicht mal mehr zu Clowns reichts, und den Samichlaus, den müsste man auch nochmals üben:




    Dienstag, 4. Mai 2010

    Von Rasern, Kinderschändern, Bischöfen und Ausländern

    Raser gehören eingesperrt und für die Zeit ihres Lebens von der Strasse ferngehalten. Dies will die Initiative "Schutz vor Rasern" erreichen. Die notwendigen Unterschriften werden problemlos in kürzester Zeit zusammenkommen.

    Die Türmchen, die keiner bauen wollte, sind nun verboten, obwohl immer noch kein Mensch weiss, was jetzt genau verboten wurde und man das auch nie herausfinden wird, da ja gar niemand ein solches Türmchen bauen will.

    Verwahrte Straftäter sind immer noch verwahrt, und die Massnahme wird immer noch regelmässig überprüft.

    Ein Mord wird nach einigen Jahren strafrechtlich nicht mehr verfolgt, einige ausgewählte Delikte des Sexualstrafrechts jedoch verjähren nicht. Deswegen wird kein Kind und keine Frau und überhaupt niemand sonst weniger missbraucht als es ohne diese Regelung geschehen wäre.

    Und nun fordert das Parlament des Kantons Aargau ein nationales Verbot der Burka. 89 Parlamentarier stimmten für die Standesinitiative, nur 33 dagegen.

    Das ist Scheinpolitik, Missbrauch von politischen Institutionen. Man nehme eine kleine Gruppe von Personen, auf deren Kosten Regelungen verschärft werden. Ob das vorgeblich zu lösende Problem wirklich eines ist, spielt dabei keine Rolle, ebensowenig, ob die vorgeschlagenen "Lösungen" irgendeine Wirkung haben. Aufgrund der mangelnden Relevanz der Themen geht niemand, der eine solche Vorlage unterstützt ein Risiko ein, dass die Lösung nicht funktionieren könnte. Jeder, der es wagt, eine derartige Vorlage abzulehnen handelt sich automatisch den Vorwurf ein, er würde islamische Fundamentalisten, Kinderschänder, Balkanraser oder notorische Triebtäter schützen wollen.

    Drei grosse Argumente meinerseits gegen sämtliche dieser Vorlagen, egal wie unterschiedlich sie inhaltlich sein mögen:

    Das systematische Argument:

    Die Verfassung soll die Grundsätze unserer Staatsordnung festlegen. Spezialrechtliche Regelungen gehören nicht in die Verfassung. Anpassungen des Strafrechts, der jeweiligen Bauordnungen oder Kleidervorschriften können in unserem demokratischen System auf Gesetzesstufe geregelt werden. Dass dabei auf Bundesebene das in zahlreichen Kantonen seit langem erfolgreiche eingesetzte Instrument der Gesetzesinitiative fehlt, wäre hingegen durch eine Initiative durchaus zu ändern und auch sinnvoll.

    Das populistische Argument:

    Politik auf Kosten von Minderheiten oder politisch nicht relevanten Gruppen eignet sich hervorragend, um sich als vermeintlichen Macher oder Problemlöser darzustellen. Das Risiko, dabei Gruppen von potentiellen Wählern gegen sich aufzubringen, ist praktisch null. Dies im Gegensatz zu Politikern, die versuchen wirklich relevante Probleme anzugehen und damit riskieren, bestimmte Personen- oder Interessengruppen zu verärgern. Am Beispiel der SVP wird deutlich, dass vor allem die Mobilisierung von potentiellen Wählern im Vordergrund steht, während die Fraktion in den Räten jeweils eine Politik zu verfolgen pflegt, die auf Kosten einer Grosszahl ihrer Wähler geht, vorwiegend in den Bereichen der Sozial- oder Steuerpolitik.


    Das Ressourcenargument:

    Die Ressourcen des politischen Systems werden zunehmend von im Grunde genommen unbedeutenden Themen besetzt. Nicht nur die für Abstimmungen und Kampagnen anfallenden finanziellen Kosten stehen dabei im Vordergrund. Vielmehr zentral ist die Aufmerksamkeit. Die Anzahl der Themen, welche im öffentlichen politischen Diskurs behandelt werden, ist begrenzt. Mit der Fokussierung auf derartige Themen geraten Probleme, die effektiv Probleme darstellen, in den Hintergrund.

    Die Raserinitiative ist in diesem Zusammenhang geradezu absurd, auch wenn ich deren Inhalte durchaus unterstütze. Zum einen macht es keinen Sinn, Probleme des Strassenverkehrsgesetzes in der Verfassung zu regeln. Genau dafür gibt es ein ein entsprechendes Gesetz. Wollte man dieses Ändern, müsste dies im Parlament geschehen. Zahlreiche Exponenten - keineswegs nur Hinterbänkler - folgender Parteien unterstützen die Initiative: SVP, CVP, SP, Grüne. Diese Parteien stellen über 90% der Nationalräte. Würden sie eine entsprechende Regelung wirklich wollen, wäre es ein leichtes, die Gesetze entsprechend anzupassen. Nur resultiert durch erfolgreiche, wenn auch zuweilen unspektakuläre und mühselige Arbeit im Parlament nie die erwünschte Präsenz in den Medien und die damit verbundene Personalisierung von Sachthemen. Und zu guter Letzt wird sich von noch so scharfen Strafen kein Raser von Tempoexzessen abhalten lassen. Und wenn man den Leuten den Führerschein abnimmt, fahrensie halt ohne, und wenn man ihnen das Auto wegnimmt, dass ihnen meisten nicht einmal gehört, sondern eine Verwandten oder in den meisten Fällen einer Leasingfirma, welche entweder das Auto zurückbekommt und dem nächsten Raser ausleiht, oder sonst entschädigt werden muss aus der Staatskasse, leasen sie halt das nächste.

    Und wer sich jetzt fragt, was das ganze mit den Bischöfen zu tun hat - natürlich abgesehen vom billigen Effekt, diese gleich neben Kinderschändern im Titel aufzuführen - der sollte diesen lesen und sich bitte dazu einige Gedanken bezüglich des Verhältnisses religiöser Rechtsordnungen zur Verfassung und zum Rechtsstaat, der Problematik von Parallelgesellschaften und der Rechte von Frauen innerhalb solcher Strukturen machen. Und dann die nächste Woche Kirchtürme und verschleierte Nonnen zählen und das Resultat mit der Anzahl von Minaretten und Burkaträgerinnen vergleichen. Und dann die Frage beantworten, weshalb Hedge-Fonds und deren Manager in der Schweiz steuerlich entlastet werden sollten.