Samstag, 30. Mai 2009

Erleuchtung

Nun, nicht nur Gesundheitspolitiker oder SVP-Polteri, wir alle könnten wohl ab und zu eine Erleuchtung gut gebrauchen. Damit's ganz sicher klappt, empfehle ich:

Sollen Sie doch alle verrecken, die Sozialschmarotzer

So oder ähnlich könnte man die Haltung der SVP zur aktuell überkochenden Diskussion um das Gesundheitswesen in der Schweiz und zu unserem kranken Versicherungssystem im speziellen zusammenfasssen. Abgesehen von der Dosierung eigentlich ein klassisch homöopathisches Vorgehen. "similia similibus currentur", wie der Lateiner zu sagen pflegt. Daran ist ersichtlich, dass die Grundidee der Homöopathie aus einer Zeit stammt, in der Mediziner noch Latein konnten. Im Gegensatz dazu scheint der Vorschlag der SVP, die obligatorische Grundversicherung abzuschaffen und freiwillige, private Versicherungslösungen als einzige Möglichkeit offenzulassen, eher aus der Mottenkiste eines von Klassendenken geprägten Sozialdarwinismus zu stammen.

Nun, in einem Punkt hat die SVP tatsächlich recht: Wenn der Staat die von privat organisierten Versicherungen zu erbringenden Leistungen, den Preis dafür und die Kundschaft vorschreibt, ist es wirklich nicht einzusehen, wie in einem derartigen Umfeld Wettbewerb herrschen oder wie dieser "Wettbewerb" zu Effizienz führen soll. De facto besteht die Konkurrenz darin, dass die Kassen mit ausgeklügelten Werbestrategien, erhöhten Zugangshürden für bestimmte soziale Gruppen, Millionen an Provisionszahlungen an Vermittler sich gegenseitig die lukrativen Kunden abwerben, während die alten und kranken Leute auf der Strecke bleiben. Finanziert wird dieser Irrsinn aus Prämiengeldern. Also müssen sofort alle Einschränkungen fallen gelassen werden? Freier Markt für freie Bürger? Wie würde das aussehen?

Jeder, der schon einmal versucht hat herauszufinden, ob sich eventuell ein Wechsel des Telefonanbieters lohnen würde musste feststellen, das eine Aussage dazu faktisch nicht möglich ist. Die Tarife und Leistungen unterscheiden sich derart stark, dass ein Vergleich kaum möglich ist. Dabei geht es um vergleichsweise simple Dinge wie telefonieren, SMS versenden und mit dem schönen, neuen, teuren Gerätchen, das immer "pling" macht, eventuell noch ein wenig im Internet herumzusurfen. Man stelle sich nun vor, es gäbe keine Grundversicherung im Gesundheitsbereich. Soll ich den Herzinfarkt aus der Liste streichen, da ich als Raucher eh vorher an Krebs sterbe? Bei meinem im Moment inexistenten Liebesleben verzichte ich getrost auf Leistungen im Fall von Geschlechtskrankheiten, dafür wäre ein geringerer Selbstbehalt im Falle einer Leberzirrhose wohl angebracht. Schon heute sind weder Preise noch Leistungen vorgeschrieben im Bereich der Zusatzversicherungen. Wer sich ein Bild von der Komplexität dieser Angebote machen will, kann gerne mal hier versuchen herauszufinden, welche Zusatzversicherung für ihn am geeignetsten wäre. Die ganze Übung würde in einem Chaos enden, Leute würden glauben, sie wären versichert, die Versicherungen würden sich mit dem Kleingedruckten herausreden. Und billiger wär das ganze sowieso nicht.

Einerseits sind Versicherungen grundsätzlich gewinnorientierte Unternehmen (während Krankenkassen mit den Grundversicherungen keinen Gewinn erzielen dürfen). Wie weit Versicherungen gehen, damit sie keine Leistungen erbringen müssen, hat der Tagesanzeiger in den letzten Tagen an einem exemplarischen Fall aufgezeigt. Soche Fälle würden zu alltäglichen Eregnissen. Andererseits gäbe es eine Vielzahl von Menschen, die schlussendlich eben nicht ausreichend oder gar nicht versichert wären. Sei es aus Dummheit, aus Unkenntnis oder schlicht aufgrund der Tatsache, dass sie sich keine adäquate Versicherung leisten könnten. Das System der SVP würde funktionieren, wenn man diese Menschen dann halt einfach nicht versorgen würde. Wer nichts bezahlt oder bezahlen kann, kriegt auch keine Leistung. doch genau das darf der Staat nicht zulassen (das wäre der im vorherigen Post zitierte Artikel 12 unserer Verfassung der hier wieder zum Tragen käme). Letzten Endes müssten wohl die Sozialbehörden für diese Kosten aufkommen, damit der Steuerzahler. Der Dumme ist dann derjenige, der sich privat versichert und seine Krankheitskosten somit selber bezahlt. Alle anderen kämen in den Genuss eines vollständig aus Steuergeldern finanzierten Gesundheitswesens. Das wäre zwar einiges sozialer als die heutige Situation, da ökonomisch besser gestellte Leute mehr dazu beitragen müssten als schwächere (im Gegensatz zum heutigen System), im Sinne der SVP wär das aber wohl kaum.

Ausser man lässt sie dann halt eben verrecken.

Samstag, 23. Mai 2009

Ehre, wem Ehre gebührt

Man fühlt sich geehrt, wenn man als seriöse Quelle genannt wird. Kollege Weee tut dies ab und zu. Er zitiert in seinem Post eine Geschichte, die ich ihm wohl mal erzählt habe - eine realistische Annahme, denn ich pflege ab und zu mal jemandem etwas zu erzählen. Die Geschichte, auf die er sich erzählt, beruht auf einem Interview, das ich vor längerer Zeit einmal in einem TV-Bericht gesehen habe. Ein Journalist begleitete einen Bettler am Bahnhof St. Gallen. In dem Bericht gab der Bettler zu Protokoll, er würde im Durchschnitt so um die 300 Franken pro Tag einnehmen. Genau diese Aussage wurde dem Mann aber zum Verhängnis, seine einnahmen sanken dramatisch, er wurde nicht nur von seinen "Kunden" beschimpft, seine Kollegen warfen ihm vor, er würde damit ihre Geschäftsgrundlage zerstören.

Leider habe ich den TV Beitrag nirgends mehr finden können. Allerdings habe ich einen anderen Beitrag zum Thema gefunden, die Grössenordnung ist also durchaus plausibel.

Nun, Betteln ist jetzt wirklich kein neues Phänomen. Seit Jahrtausenden ist das Betteln in den meisten Kulturkreisen eine mehr oder weniger anerkannte Tätigkeit. Religionen sämtlicher Couleur regeln den Umgang mit Personen, die nicht in der Lage sind, selber für ihren Unterhalt zu sorgen, äusserst prominent. Das Spenden von Almosen stellt eine der 5 Säulen des Islam dar. Die Geschichten des neuen Testaments erzählen immer wieder vom Einsatz von Jesus für benachteiligte Mitmenschen, der bekannte Spruch mit dem Kamel und dem Nadelöhr ist nur ein Beispiel dafür.

Der moderne Wohlfahrtsstaat versucht, das Problem der Armut von der individuellen Ebene zu verschieben und dieses als Problem der Gemeinschaft zu interpretieren und auch kollektiv zu lösen. Die Gründe dafür sind vorwiegend in den Erfahrungen der 30er Jahre des vorletzten Jahrhunderts zu suchen. Vorrangiges Ziel bei der Einführung sozialer Sicherungssysteme war, die Auswirkungen wirtschaftlicher Krisen auf die Bevölkerung zu dämpfen und somit einen Zusammenbruch des Konsums zu verhindern. Zudem ermöglichen staatliche Sozialversicherungen dem Staat, sich die Zustimmung seiner Bürger zum politischen System sozusagen zu kaufen. Situationen wie während der Endphase der Weimarer Republik, als der demokratische Staat sich einer Merheit anti-demokratischer Parteien im Parlament und zudem Regierungen, die parlamentarsich nicht legitimiert waren (Präsidialkabinette) gegenübersah. Dies führte zu den bekannten katastrophalen Entwicklungen.

Was hat das ganze mit Bettlern zu tun?

"Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind."

Dies sagt Artikel 12 der Bundesverfassung. Theoretisch wäre es also tatsächlich so, dass niemand betteln müsste, um zu überleben. Die Streiterei fängt natürlich dann an, wenn es darum geht, was denn mit dem menschenwürdigen Dasein genau gemeint ist. Das Bier für den Alki, der nächste Schuss für den Drögeler, die Zigaretten für den Punk sind damit kaum abgedeckt. Doch eigentlich geht es bei allen Diskussionen um Bettelverbote, Rayonverbote für "Randständige" und ähnlichem vor allem um das Besetzen von öffentlichem Raum. Wer sich nicht den Vorstellungen der bürgerlichen Gesellschafte gemäss Verhält, soll dies tun können, aber bitte irgendwo, wo es keiner sieht. Die Polemik um das Bahnhofsreglement in Bern zeigten dies exemplarisch auf. Das Problem an Bettlern, Punks, Alkis etc. lässt sich auf eine wohl jedermann aus der eigenen Jugend bekannten ausspruch, vorwiegend von Müttern in Feld gebracht, reduzieren: "Mir ist es egal, wie du rumläufst, aber was denken dann die anderen von uns?" Im Gegensatz zu den Müttern scheint die Obrigkeit sich allerdings immer mehr durchsetzen zu können.