Sonntag, 2. Dezember 2012

Ist denn das so schwierig?

Seit 20 Jahren geht das so, seit 20 Jahren rege ich mich darüber auf, seit 20 Jahren helfen alle diesbezüglichen Hinweise nichts: Die Schweiz hat nie ein Beitrittsgesuch zur Europäischen Union gestellt. Daran ändern weder die lustigen Lieder des Gesangslehrers der Nation, regelmässige Vorstösse im Parlament oder mittlerweile wohl hunderte von Zeitungsartikeln nichts.




Nochmals, zum mitschreiben: Die Schweiz hat im Mai 1992 formell bei der EWG, wie die EU damals noch hiess, ein Gesuch um die Aufnahme von Betrittsverhandlungen eingereicht. Das ist zwar in Französisch abgefasst aber sogar mit den Überresten meines bescheidenen Schulfranzösisch durchaus verständlich.Wäre dieses Gesuch weiter behandelt worden, hätten die Schweiz und die EU Verhandlungen über einen möglichen Beitritt aufgenommen. Solche Prozesse können Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Und am Ende der Verhandlungen kann jede Seite das Resultat annehmen oder ablehnen. Und ob man dem, wo der Bilaterale Weg schlussendlich hinführt nun EWR sagt, sich in bestehende Institutionen integriert, oder die gleichen Regelungen einzeln und unter massiv höherem Aufwand und unter Inkaufnahme von jahrelangen innen- und aussenpolitischen Streitereien ist schlussendlich einfach eine Frage der Terminologie. Aber leider scheint eine faktenbasierte europapolitische Diskussion in der Schweiz bis auf Weiteres ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.


6 Kommentare:

  1. Bin nach Twitter-Diskussion nicht sicher, ob deine Interpretation stimmt. Das hier interpretierte Gesuch lässt sich durchaus als Beitrittsgesuch interpretieren, http://bundesplatz.blog.nzz.ch/2012/11/29/der-neunmalkluge-ogi/
    Zudem ist »Beitrittsgesuch« auf die offizielle Begrifflichkeit in der Bundeskommunikation, z.B. hier http://www.admin.ch/aktuell/00089/index.html?lang=de&msg-id=19619 aber auch an anderen Orten.

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  2. Es braucht einen Antrag auf Aufnahme zuhanden der Kommission, damit überhaupt verhandelt werden kann. Dieser Antrag steht unter ausdrücklichem Ratifizierungsvorbehalt (siehe Abschnitt 2 des berüchtigten Art. 237 des EWG Vertrages). Inhaltlich läuft das so: Wenn die beteiligten Parteien sich einig sind, dass sie über mögliche Lösungen eines Problems reden wollen, werden Verhandlungen eingeleitet (Das wäre das fragliche Gesuch, es drückt einzig den Willen aus, mit den beteiligten Partnern über mögliche Lösungen zu verhandeln). Diese Verhandlungen können ergebnislos abgebrochen, auf Eis gelegt oder durch ein Resultat, auf das sich alle einigen können, abgeschlossen werden. Damit (und erst damit, nicht mit der Aufnahme von Verhandlungen) haben sich die beteiligten Exekutiven festgelegt, was sie wollen - nämlich die ausgehandelte Lösung (in diesem Falle ein Staatsvertrag zwischen der Schweiz und den Mitgliedsstaaten, welcher die ausgehandelten Modalitäten regelt). Solange diese Lösung nicht ratifiziert ist, sind die Parteien verpflichtet, sich so zu verhalten, als hätte die Regelung schon Gültigkeit, zumindest nichts zu unternehmen, um diese zu unterlaufen. Im Ratifizierungsprozess kann dann durch die vorgesehenen Institutionen (in der Regel Parlamente, je nach dem Länderkammern oder Volksabstimmungen) nur noch über die vorliegende Regelung entschieden werden. Erst dann ist ein wirklich verbindlicher Entscheid gefällt.
    Mit der von allen (Journis, Verwaltung, Parlamentariern, Verbänden, etc.) verwendeten Terminologie schafft man eben genau "Umgangssprachlich" Tatsachen, die eigentlich gar keine sind. Das ist sehr erfolgreich. Man hat erreicht, das eine öffentliche Diskussion über Europapolitik schon per se als sinnlos erachtet wird.
    Und in der politischen Öffentlichkeit passiert dies nicht einfach so. Warum spricht wohl im VBS keiner von "Neubeschaffung von Kampfjets", sondern alle vom "Tiger Teilersatz"? Warum hiess es Unternehmenssteuerreform anstatt "Keine Steuern für superreiche Grossverdiener", spricht man von "Ausländerkriminalität" statt von Männerkriminalität, etc..

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  3. Ja, ein Beitrittsgesuch macht noch keinen Beitritt, aber wer ein Beitrittsgesuch stellt, möchte beitreten.

    Zu den Begriffen: Man spricht von Tiger-Teilersatz, weil tatsächlich die heutigen Tiger durch neue Kampfjets ersetzt werden sollen. Der Ersatz steht im Vordergrund.

    Man spricht von Unternehmenssteuerreform, weil tatsächlich die Steuern der Unternehmen reformiert wurden und nicht die Steuern der natürlichen Personen, die davon allenfalls profitiert haben. Übrigens längst nicht nur Superreiche, sondern auch viele Eigentümer von KU und MU in Form von Aktiengesellschaften.

    Man spricht von Ausländerkriminalität, weil eben primär ausländische Männer und nicht schlicht Männer kriminell werden.

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    1. Natürlich sind die von mir erwähnten Begriffe nicht in dem Sinne falsch oder nicht korrekt. Aber darauf wollte ich ja gerade hinaus: Jeder Begriff für faktisch identische Sachverhalte legt eine spezifische Sicht auf diesen Sachverhalt näher als andere Perspektiven. Hinter jeder Sprachregelung steht eine Absicht, in den gewählten Fällen politische Absichten. Wer die Begrifflichkeit prägt, prägt den Referenzrahmen und damit bestimmte Erwartungen. Das funktioniert sehr wirkungsvoll. Deshalb heisst ja auch jeder Verkäufer mittlerweile Kundenberater.

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  4. Klar - Wörter sind wichtig. Aber hier ist die juristische Begrifflichkeit »Beitrittsgesuch«. Ich gebe dir Recht - der Eindruck, die EU könnte einseitig einen Beitritt bejahen und die Schweiz müsste beitreten, ist völlig daneben und wir polemisch eingesetzt. Aber die Aussage »Die Schweiz hat 1992 ein Beitrittsgesuch an die EWG gestellt« ist nicht falsch.

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    1. Nein, aber die damit implizierte Aussage, die Schweiz (oder zumindest der Bundesrat) hätte 1992 der EU beitreten wollen.

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