Dienstag, 4. Mai 2010

Von Rasern, Kinderschändern, Bischöfen und Ausländern

Raser gehören eingesperrt und für die Zeit ihres Lebens von der Strasse ferngehalten. Dies will die Initiative "Schutz vor Rasern" erreichen. Die notwendigen Unterschriften werden problemlos in kürzester Zeit zusammenkommen.

Die Türmchen, die keiner bauen wollte, sind nun verboten, obwohl immer noch kein Mensch weiss, was jetzt genau verboten wurde und man das auch nie herausfinden wird, da ja gar niemand ein solches Türmchen bauen will.

Verwahrte Straftäter sind immer noch verwahrt, und die Massnahme wird immer noch regelmässig überprüft.

Ein Mord wird nach einigen Jahren strafrechtlich nicht mehr verfolgt, einige ausgewählte Delikte des Sexualstrafrechts jedoch verjähren nicht. Deswegen wird kein Kind und keine Frau und überhaupt niemand sonst weniger missbraucht als es ohne diese Regelung geschehen wäre.

Und nun fordert das Parlament des Kantons Aargau ein nationales Verbot der Burka. 89 Parlamentarier stimmten für die Standesinitiative, nur 33 dagegen.

Das ist Scheinpolitik, Missbrauch von politischen Institutionen. Man nehme eine kleine Gruppe von Personen, auf deren Kosten Regelungen verschärft werden. Ob das vorgeblich zu lösende Problem wirklich eines ist, spielt dabei keine Rolle, ebensowenig, ob die vorgeschlagenen "Lösungen" irgendeine Wirkung haben. Aufgrund der mangelnden Relevanz der Themen geht niemand, der eine solche Vorlage unterstützt ein Risiko ein, dass die Lösung nicht funktionieren könnte. Jeder, der es wagt, eine derartige Vorlage abzulehnen handelt sich automatisch den Vorwurf ein, er würde islamische Fundamentalisten, Kinderschänder, Balkanraser oder notorische Triebtäter schützen wollen.

Drei grosse Argumente meinerseits gegen sämtliche dieser Vorlagen, egal wie unterschiedlich sie inhaltlich sein mögen:

Das systematische Argument:

Die Verfassung soll die Grundsätze unserer Staatsordnung festlegen. Spezialrechtliche Regelungen gehören nicht in die Verfassung. Anpassungen des Strafrechts, der jeweiligen Bauordnungen oder Kleidervorschriften können in unserem demokratischen System auf Gesetzesstufe geregelt werden. Dass dabei auf Bundesebene das in zahlreichen Kantonen seit langem erfolgreiche eingesetzte Instrument der Gesetzesinitiative fehlt, wäre hingegen durch eine Initiative durchaus zu ändern und auch sinnvoll.

Das populistische Argument:

Politik auf Kosten von Minderheiten oder politisch nicht relevanten Gruppen eignet sich hervorragend, um sich als vermeintlichen Macher oder Problemlöser darzustellen. Das Risiko, dabei Gruppen von potentiellen Wählern gegen sich aufzubringen, ist praktisch null. Dies im Gegensatz zu Politikern, die versuchen wirklich relevante Probleme anzugehen und damit riskieren, bestimmte Personen- oder Interessengruppen zu verärgern. Am Beispiel der SVP wird deutlich, dass vor allem die Mobilisierung von potentiellen Wählern im Vordergrund steht, während die Fraktion in den Räten jeweils eine Politik zu verfolgen pflegt, die auf Kosten einer Grosszahl ihrer Wähler geht, vorwiegend in den Bereichen der Sozial- oder Steuerpolitik.


Das Ressourcenargument:

Die Ressourcen des politischen Systems werden zunehmend von im Grunde genommen unbedeutenden Themen besetzt. Nicht nur die für Abstimmungen und Kampagnen anfallenden finanziellen Kosten stehen dabei im Vordergrund. Vielmehr zentral ist die Aufmerksamkeit. Die Anzahl der Themen, welche im öffentlichen politischen Diskurs behandelt werden, ist begrenzt. Mit der Fokussierung auf derartige Themen geraten Probleme, die effektiv Probleme darstellen, in den Hintergrund.

Die Raserinitiative ist in diesem Zusammenhang geradezu absurd, auch wenn ich deren Inhalte durchaus unterstütze. Zum einen macht es keinen Sinn, Probleme des Strassenverkehrsgesetzes in der Verfassung zu regeln. Genau dafür gibt es ein ein entsprechendes Gesetz. Wollte man dieses Ändern, müsste dies im Parlament geschehen. Zahlreiche Exponenten - keineswegs nur Hinterbänkler - folgender Parteien unterstützen die Initiative: SVP, CVP, SP, Grüne. Diese Parteien stellen über 90% der Nationalräte. Würden sie eine entsprechende Regelung wirklich wollen, wäre es ein leichtes, die Gesetze entsprechend anzupassen. Nur resultiert durch erfolgreiche, wenn auch zuweilen unspektakuläre und mühselige Arbeit im Parlament nie die erwünschte Präsenz in den Medien und die damit verbundene Personalisierung von Sachthemen. Und zu guter Letzt wird sich von noch so scharfen Strafen kein Raser von Tempoexzessen abhalten lassen. Und wenn man den Leuten den Führerschein abnimmt, fahrensie halt ohne, und wenn man ihnen das Auto wegnimmt, dass ihnen meisten nicht einmal gehört, sondern eine Verwandten oder in den meisten Fällen einer Leasingfirma, welche entweder das Auto zurückbekommt und dem nächsten Raser ausleiht, oder sonst entschädigt werden muss aus der Staatskasse, leasen sie halt das nächste.

Und wer sich jetzt fragt, was das ganze mit den Bischöfen zu tun hat - natürlich abgesehen vom billigen Effekt, diese gleich neben Kinderschändern im Titel aufzuführen - der sollte diesen lesen und sich bitte dazu einige Gedanken bezüglich des Verhältnisses religiöser Rechtsordnungen zur Verfassung und zum Rechtsstaat, der Problematik von Parallelgesellschaften und der Rechte von Frauen innerhalb solcher Strukturen machen. Und dann die nächste Woche Kirchtürme und verschleierte Nonnen zählen und das Resultat mit der Anzahl von Minaretten und Burkaträgerinnen vergleichen. Und dann die Frage beantworten, weshalb Hedge-Fonds und deren Manager in der Schweiz steuerlich entlastet werden sollten.

4 Kommentare:

  1. "Am Beispiel der SVP wird deutlich, dass vor allem die Mobilisierung von potentiellen Wählern im Vordergrund steht"

    Das nennt sich Demokratie, Hirni.

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  2. Richtig. Und wenn jede Partei so egoistisch handeln würde, wäre mir der Kommunismus lieber.

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  3. Nun, Hirni schmeichelt mir. Klar, die Mobilisierung von Wählern gehört zum demokratischen Prozess. Was ich, vielleicht zuwenig deutlich ausgeführt habe, ist folgendes: Mobilisiert werden zahlreiche Wähler durch Ausländerfeindliche, wirkungslose Vorlagen. Die Politik, welche von der SVP dann effektiv, wenn auch nicht so laut, betrieben wird, dreht sich um ganz andere Dinge, welche ein bisschen schwieriger zu verstehen und zu erklären sind, deren Auswirkungen den konkreten Interessen der SVP Wähler aber oft diametral widersprechen. Das ist ein Missbrauch des Wählerwillens. Bestes Beispiel: die letzte BVG Abstimmung. 73% der SVP Wähler haben diese Vorlage abgelehnt. Das Referendum haben linke organisiert, die Fraktion und Parteigremien der SVP waren deutlich dafür (Zentralvorstand: 40 Stimmen gegen das Volk, 11 dafür).

    @ "intelligert" : Es wäre mir ein Anliegen, an dieser Stelle, trotz unterschiedlicher Ansichten, ein Mindestmass an gutschweizerischem Anstand und Höflichkeit zu wahren, wir sind hier schliesslich ein zivilisiertes Land, nicht?

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  4. Ich steuere mal eine Analyse bei, die erklärt, warum die auf Freiheit der Frauen fußende Argumentation nicht trägt; und dann noch eine, die sich mit Argumenten des Merhheitsführers im französischen Parlament auseinandersetzt.

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